Das behexte Lenchen

Die folgende Geschichte hat sich im Süden der Oberlausitz, direkt an der Grenze zu Böhmen, zugetragen. Sie ist mehrfach schriftlich belegt und erregte in vielen deutschen Ländern großes Aufsehen. Fassungslos und teilweise ungläubig bekamen die Menschen von einem 10-jährigen Mädchen aus Zittau zu lesen, dem vom 7. Dezember 1701 bis 27. Juni 1702 gar wundersame und grausige Dinge widerfuhren. „Mit schrecklicher Leibesbewegung“, ist in einem Bericht von 1738 zu lesen, „harter Brünstigung, oftmaliger Bekenntnis und Merkmalen bezauberten Zustandes als auch ungewöhnlicher Beredsamkeit“ versetzte sie ihre Eltern und die übrige Umwelt in Schrecken und Verzweiflung.

Nur ein Schritt über die Pfütze

Anna Helene, so hieß das Mädchen, erhielt die Taufe am 17. März  1691 in der Zittauer Johanniskirche. Sie lebte zusammen mit ihrem Vater Zacharias Gottschalk, einem Mehl- und Grieshändler sowie ihrer Mutter Catharine in einem Häuschen auf der Pappelgasse (heute Breite Straße), die im Süden die Rosen- mit der Badergasse verband. Dem Reden der  Einheimischen nach war sie ein frommes, stilles, leutseliges Kind. Keiner Menschenseele hatte sie bisher das Geringste zu Schaden getan. Umso erstaunter waren die Leute, als sich Lenchen aus heiterem Himmel grundlegend veränderte. Ihren Anfang nahmen die Ereignisse an einem Mittwoch im Dezember des Jahres 1701. Die Zittauer freuten sich schon auf das bevorstehende Weihnachtsfest. Umso trauriger war es, dass man ausgerechnet jetzt einen lieb gewordenen Anwohner, den böhmischen Exilanten Martin Viertel, zu Grabe tragen musste. Gerade eben, die Uhr ging auf Mittag, schob sich der Trauerzug langsam die Badergasse hoch, auf die Johanniskirche zu. Vorn liefen die nächsten Nachbarn des Verstorbenen: in Schleier gehüllt auch Catharine Gottschalk, davor ihre Tochter Anna Helene. Die Menschen ringsum blieben stehen, einige traten aus ihren Häusern oder schauten stumm aus den Fenstern. Sie alle blickten auf den Sarg, und so bemerkte außer Catherine Gottschalk keiner, wie ihre Tochter soeben mit langem Schritt über eine Pfütze stieg, wie sie erschrak und plötzlich am ganzen Leibe zitterte. Aber weder Mutter noch Tochter ließen sich dadurch aus dem Tritt bringen. Während der Leichenpredigt erfasste Lenchen allerdings ein derart gewaltiger Schüttelfrost, dass die Mutter sie auf den Arm nehmen und mit ihr nach Hause eilen musste. Dort angekommen übergab sich das Kind, fuchtelte unkontrolliert mit den Armen und fiel sogar in eine kurze Ohnmacht. Ein am Nachmittag eilig aus der Apotheke herbeigeschafftes Fläschchen Schlagwasser linderte zunächst ihre Beschwerden. Die Eltern ließ das auf eine vorübergehende Unpässlichkeit hoffen. Sie ahnten nicht, dass sie am Anfang einer harten, nervenaufreibenden Tortur standen ….