Verratene Liebe

Geschichten und Sagen aus Löbau

Inhalt

  • Verratene Liebe
  • Wie der deutsche Kaiser auf dem Bahnhof Löbau …
  • Ausgebrannt und Obdachlos – das große Feuer …
  • Wie in Löbau das Elektrozeitalter begann
  • Bleihaltige Luft
  • Die Katastrophe am Neujahrstag
  • Das Martyrium eines Blödsinnigen
  • Die schwere Geburt eines Turmes
  • Falschmünzer und Einfaltspinsel
  • Blumen für den Führer
  • Ein Selbstmord im Löbauer Stockhaus
  • Das grausige Ende eines Rittergutsbesitzers
  • Die Sage vom Geldkeller
  • Die Sage vom feurigen Hund
  • Die Sage von der Wunderblume

ISBN: 9783754359631
ISBN E-Book: 9783756270828

Leseprobe

Verratene Liebe 

Die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir liebten. (Wilhelm Busch) 

Sie war berauscht vor Glück, die Anna Rosina Lehmann, als ihre Dienstherrin darüber schimpfte, dass die Preußen wahrscheinlich schon morgen erneut in Löbau einrücken werden.
„Da machst du gleich die Kammer oben neben deiner fertig! Wir kriegen garantiert Soldaten zur Einquartierung und haben wieder mal ein paar Mäuler mehr zu stopfen“, schnarrte sie die Anna harsch an.

Dabei würdigte die Hausherrin das Mädchen keines Blickes, denn für sie als Frau des Bauinspektors Leder und Tochter des Bürgermeisters Kirchhoff, stand Anna Rosina als Dienstmagd in der Rangordnung der Stadt ganz weit unten. Sie wurde nur als „das Mensch“ bezeichnet, das zu tun hatte, was man ihr sagte. Herzlichkeit, Wärme oder wenigstens ein bisschen Anerkennung war da nicht drin. Das störte die Anna aber heute überhaupt nicht. Erstens war sie das von ihrer Herrschaft gewohnt und zweitens hatte sie mitbekommen, wer diesmal in der Stadt Quartier nehmen wollte. Nämlich das Bataillon des Hauptmanns von Kalbuz aus dem Regiment des Prinzen von Preußen. Und damit kam er wieder nach Löbau: Ihr Christian, den sie so sehr liebte und der ihr so unendlich lang fehlte.

Vor über einem Jahr hatten sich beide in Löbau kennengelernt. Er kam aus Lauba und war gerade Geselle bei den Zimmerleuten geworden. Sie wurde in Wendisch Paulsdorf geboren, ihre Eltern waren Häusler und ziemlich arm. Anna hatte noch zwei Geschwister, die zu versorgen waren. Deshalb musste sie sich, als ältestes Kind der Familie, in der Stadt für ein paar Groschen als Dienstmädchen verdingen.

Zuerst sahen sich Anna und Christian hin und wieder aus der Ferne, wenn sie Dienstverrichtungen auf dem Markt oder in der Kirchgasse (der heutigen Nicolaistraße) zu erledigen hatten. Nur ein paar versteckte Blicke, vielleicht ein verlegenes Lächeln, huschten über die Straße. Bis zu jenem Freitagnachmittag, als sie ihn im dichten Gedränge des kleinen Kramladens der freundlichen Johanna Reimer plötzlich neben sich spürte. Für einige Sekunden wagte sie es, dem Blick seiner samtweichen blauen Augen standzuhalten. In diesem Moment war es um ihre zwei Herzen geschehen. Ein tief gehendes, alle Sinne berauschendes Gefühl stieg in beiden hoch, ein Gefühl, das zwei Seelen für immer verbinden sollte …